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Nachricht vom 24.04.2020 Sonstiges

Ein denkwürdiger Tag für Hirschau: 22. April 1945

Hirschau (Bericht von Werner Schulz)  Er ist ein denkwürdiger Sonntag in der Geschichte Hirschaus – der 22. April 1945. Gegen halb elf Uhr rückten amerikanische Panzer auf der Großschönbrunner Straße in die Stadt ein. Zwei Stunden lang war es in den Straßen totenstill.

So steht es in der von Dr. Heribert Batzl verfassten „Geschichte der Stadt Hirschau“ zu lesen. Und exakt so schilderte Wilhelm Schorner - bekannt als „Urberl Helm“ – ab dem 3. Februar 1989, als er seinen 100. Geburtstag feierte, alljährlich seiner illustren Gratulantenschar seine persönlichen Erinnerungen an diesen Tag. Trotz seines hohen Alters hatte der „Helm“ dazu noch oft Gelegenheit. Schließlich wurde er als damals ältester Deutscher 110 Jahre alt, ehe er am 29. März 1999 verstarb.



Zwei Tage vor dem Einmarsch der US-Truppen, am Freitag, 20. April, hatten amerikanische Flugzeuge um 9 Uhr morgens die Stadt angegriffen und bombardiert. Den größten Treffer hatte die Stadtpfarrkirche abbekommen. Aus dem oberen Teil der Südost-Ecke des Kirchturms wurde ein hausgroßes Loch herausgerissen. Die herabfallenden Steinbrocken zerstörten das halbe Kirchendach. Zum Glück verfehlten die US-Bomben das unmittelbar nördlich der Kirche stehende Knabenschulhaus. In diesem hatten sich Truppenteile der SS aufgehalten. Im Gebäude war jede Menge Munition gelagert. Ein Treffer dort hätte nicht nur nach Meinung von Stadtheimatpfleger Sepp Strobl verheerende Folgen gehabt. Durch den Bombenangriff wurden außerdem einige Gebäude in der Innenstadt beschädigt bzw. zerstört. Es waren allerdings nicht nur Sachschäden zu beklagen. Der Luftangriff forderte auch vier Todesopfer: Viktoria Wittmann, Wilhelm Kruse, Andreas Arnold und Johann Wagner.

Bei ihrem Einmarsch am 22. April stießen die US-Truppen auf keinen Widerstand. In der Innenstadt herrschte von halb elf bis halb ein Uhr Totenstille. Wilhelm Schorner, der in der Postgasse unweit des Rathauses wohnte, wagte sich als einer der wenigen Hirschauer um diese Zeit zum Marktplatz. Er sprach kein Wort Englisch. Trotzdem knüpfte er Kontakt zu den US-Soldaten bzw. diese zu ihm. Sie wollten von ihm offenkundig wissen, wo sich die Bevölkerung aufhielt. Der Urberl Helm konnte helfen: Er wusste, dass viele Einwohner Schutz in den Felsenkellern an der Mühl-, Kohlberger- und Ehenfelder Straße gesucht hatten. Unter ihnen befanden sich außerdem Flüchtlinge aus Schlesien und Brandenburg, meist alte Männer und Frauen. Sie waren ab Ende Februar im Kloster der Armen Schulschwestern in der Mädchenschule untergebracht, die zum Hilfskrankenhaus umfunktioniert worden war.

Trotz der Sprachbarrieren verstand Wilhelm Schorner, dass er die Amerikaner zu den Verstecken führen sollte. Originalton „Urberl Helm“: „Ich hob mi vorn auf d‘ Motorhaub‘n von ein‘m Jeep setzen möin. So san mir zu die Felsenkeller g‘fohrn. Die Leit san dann schöi langsam assakumma.“ Die Amerikaner beschlagnahmten eine Reihe von Wohnungen; stellenweise kam es zu Plünderungen. Insgesamt verlief der Tag, wie auch die Folgetage, ziemlich ruhig. Dazu trug wesentlich das Ausgehverbot bei. Die Straßen durften nur von 8 bis 9 und von 16 bis 19 Uhr betreten werden.

Der Ausgangssperre war und ist es wohl maßgeblich zuzuschreiben, dass die Hirschauer von einem Ereignis des 22. April 1945 so gut wie nichts mitbekamen – dem Tod des NSDAP-Kreisleiters Dr. Artur Kolb. Wie es dazu kam, dass dessen Leben in Hirschau im Anwesen Haas in der Grundstraße Nr. 11 endete, damit befasste sich niemand so intensiv, detailliert und ausführlich wie Kreisheimatpfleger Dieter Dörner. Seinen akribischen Recherchen ist es zu verdanken, dass so manche Gerüchte und Falschdarstellungen über den letzten Tag des Dr. Kolb widerlegt und seine letzten Stunden weitestgehend rekonstruiert werden konnten und können.

Demnach fuhr Dr. Kolb am 22. April gegen 18.30 Uhr mit Polizeimeister Schuller und zwei Begleitpersonen zur Raigeringer Höhe, wo er gegen 18.45 Uhr ankam. Wie Bürgermeister Regler berichtete, meldete Schuller etwa um 19 Uhr in der Polizeiwache, dass er den Kreisleiter nach Raigering fahren sollte. Gegenüber der Baumannvilla seien sie von amerikanischen Truppen angeschossen worden. Der Kreisleiter sei schwer getroffen worden und aus dem sich überschlagenden Wagen gestürzt. Er und seine Begleiter seien geflüchtet, Dr. Kolb seinem Schicksal überlassend. Ein von Dr. Regler, dem Sohn des Bürgermeisters und späteren Stadtarchivar, am 19. April 1985 verfasster Zeitungsbericht wiederholt den Sachverhalt. Dass Dr. Kolb in Nähe der Baumannvilla angeschossen wurde, berichtet 1955 Rudolf Haberkorn in einer Beilage des Amberger Volksblatts. Als der Kreisleiter erkannte, dass er sich dort US-Soldaten gegenübersah, habe er Schuller den Befehl zum Wenden gegeben. Schüsse hätten den Wagen getroffen. Dr. Kolb sei in ein Feld gesprungen, habe mit seiner Pistole die Schüsse der Amerikaner erwidert und sei Sekunden später getroffen zusammengebrochen. Mit Frau Westiner findet sich eine weitere Zeitzeugin, die in der AZ vom 30. April 1975 davon berichtet, dass Kolb auf der Raigeringer Höhe „erschossen“ wurde. Mit Hermann Lichtenberger berichtet ein weiterer Zeitzeuge, Dr. Kolb habe oben auf der Raigeringer Straße einen Bauchschuss erhalten.

Demnach steht fest, dass Dr. Kolb am 22. April 1945 auf der Raigeringer Höhe angeschossen wurde. Sicher und in mehreren Berichten bestätigt ist sein Transport auf der Motorhaube des Jeeps über Raigering und Immenstetten nach Hirschau. Dabei könne man mit Sicherheit davon ausgehen, dass Dr. Kolb noch lebte und der Bauchschuss nicht unmittelbar zu seinem Tod geführt hat. Laut Sterbematrikel fand man ihn am gleichen Abend um 20 Uhr tot vor dem Haus Grundstraße Nr. 11 auf. In der Grundstraße lagerte eine Sanitätskolonne der Amerikaner. Das Anwesen Haas (Haus Nr. 11) war als Leitstelle eingerichtet worden. Johann Haas, Eigentümer des Hauses, berichtet, dass die Amerikaner den Leichnam noch am gleichen Abend in den Schweinekoben gebracht haben. Am 24. April verständigten die Amerikaner den stellv. Bürgermeister Johann Böller zwischen 13 und 14 Uhr von dem Leichnam. Der Tote wurde zum Friedhof gebracht und von Bürgermeister Böller, der Kolb kannte, identifiziert. Auch Pfarrer Haffner von der Amberger Paulanergemeinde wurde auf den Leichnam im Haas-Schweinekoben hingewiesen. Im damaligen Chaos war Pfarrer Haffner jedoch handlungsunfähig.

Am Dienstag, 24. April, nahm Dr. Ulrich Otto im Leichenhaus die Leichenschau vor. Über diese berichtete er am 23. Februar 1948 in einem zweiseitigen Schreiben detailliert Dr. Kolbs Witwe. Darin heißt es u.a.: „Der Tote trug lediglich eine (soweit erinnerlich braune oder olivgrüne) lange Hose mit Halbschuhen. Der Oberkörper war unbekleidet. Die Leiche war stark verschmutzt, offenbar durch das Liegen im Schweinekoben. Irgendwelche Zeichen von Schlägen (Hämatome oder dergl.) oder Schleifspuren waren nicht zu sehen. Es ist mir nicht erfindlich, wer Ihnen über derartige Erscheinungen am Körper des Toten gemacht haben könnte. Auf jeden Fall sind diese völlig unzutreffend. Der Tote hatte auf der rechten Bauchseite einen Durchschuss, offenbar von einem Infanterie-Geschoss. Die Wunde war sachgemäß mit amerikanischem Verbandsmaterial verbunden, der Verband vorn und hinten stark durchblutet. Das Gesicht war in keiner Weise entstellt, lediglich von der rechten Schläfengegend her stark mit verkrustetem Blut überzogen. Die rechte Schädelseite war stark blutig verkrustet. Erst nach langem Suchen konnte ich auf der linken Schädelseite ein Schussloch finden. Daraus schloss ich damals, dass der Schuss von links nach rechts gegeben sein müsste. (Der linke Einschuss saß höher als der rechte, das rechte Schussloch war weiter, aufgesplittert und offenbar wesentlich stärker blutend). Die Leiche war noch starr, zeigte wenig Totenflecken.“ Schließlich erklärt Dr. Otto der Witwe, dass der Bauchschuss sicherlich von sich aus den Tod herbeigeführt hätte. Dass sich Dr. Kolb den Kopfschuss selbst beigebracht hat, halte er für unwahrscheinlich. Sicherlich habe er, nachdem ihm der Bauschuss verbunden worden war, keine Waffe mehr bei sich gehabt.

Am 25. April erfolgte die Bestattung ohne Beisein Angehöriger und ohne kirchliche Begleitung. Darstellungen von angeblichen Augen- und Ohrenzeugen Dr. Kolb sei am 25. April durch Hirschau geführt und dort erschossen worden, entbehren jeglicher Grundlage. Gleiches gilt für das immer wieder verbreitete Gerücht, der Körper des NSDAP-Kreisleiters sei an einen Jeep oder Panzer gebunden und auf der Straße geschleift worden.

Zwei Tage vor dem Einmarsch der US-Truppen in Hirschau hatten amerikanische Flugzeuge am 20. April 1945 die Stadt bombardiert. Den größten Treffer hatte die Stadtpfarrkirche abbekommen. Aus dem oberen Teil der Südost-Ecke des Kirchturms wurde ein hausgroßes Loch herausgerissen. - Foto von Werner SchulzFoto: Werner Schulz
Zwei Tage vor dem Einmarsch der US-Truppen in Hirschau hatten amerikanische Flugzeuge am 20. April 1945 die Stadt bombardiert. Den größten Treffer hatte die Stadtpfarrkirche abbekommen. Aus dem oberen Teil der Südost-Ecke des Kirchturms wurde ein hausgroßes Loch herausgerissen.

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Foto: Werner Schulz
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