Hirschau (Bericht von Werner Schulz) Von 1826 bis 1958 währte die für Hirschau kulturell wie wirtschaftlich bedeutsame Zeit der Steingutproduktion. Nun widmet sich eine Ausstellung einem bislang wenig erforschtem Kapitel dieser Ära – der Produktion von Steingutplastiken.
Unter der Überschrift „Hirschau – Keramik – Figuren“ eröffnete der Festspielverein letzten Samstag in der Alten Mälzerei eine Ausstellung, bei der ca. 100 in der Zeit zwischen 1920 und 1958 in Hirschau gefertigte Steingutplastiken der Firmen Carstens (1918 bis 1936), Luckscha (1936 bis 1956) und Flückiger (1956 bis 1958) zu sehen sind.
Zur Eröffnung begrüßte der Vorsitzende Ludwig Koller im Schlosskeller rund 60 geladene Gäste, darunter eine Reihe von Sammlern und Leihgebern. Letzteren dankte er, dass sie ihre Figuren bis April 2023 als Exponate zur Verfügung stellen. So könne die Ausstellung bisher Unbekanntes oder Verborgenes ans Licht bringen. Dass man sich seit knapp 20 Jahren wieder mit der fast in Vergessenheit geratenen Steingutgeschichte befasse, sei besonders Altbürgermeister Hans Drexler zu verdanken. Dessen vorbildliches Engagement würdigte auch Bürgermeister Hermann Falk. Zugleich erinnerte an die bleibenden Verdienste des 2017 verstorbenen Michael Popp. Er habe den Hirschauern die enorme Bedeutung der Steingutproduktion wieder bewusst gemacht. Die Ausstellung beweise, dass in den Steingutfabriken nicht nur Massenware, sondern auch anspruchsvolle Kunstkeramik gefertigt wurde. Er zeigte sich überzeugt, dass die von Pfarrer Klaus Haußmann initiierte Ausstellung das Bewusstsein der Hirschauer für das in ihrem Heimatort produzierte Steingut neu entfachen werde.
Zu Beginn seines fachkundigen wie kurzweiligen Vortrags machte Pfarrer Haußmann klar, dass man zwar seit Jahren von der Existenz Hirschauer Keramikfiguren gehört hatte, diese aber außer einigen Hirschauern kaum jemand gesehen hatte, schon gar nicht irgendwo abgebildet. „Nur den Adler kannte man seit längerem!“ 2004 habe ihm Dr. Werner Endres, der an seinem Buch „Steingut, Geschirr aus der Oberpfalz“ arbeitete, im Friedenfelser Pfarrhof die Frage gestellt, ob es noch andere Tiere als den Adler gebe. Darauf habe er berichtet, dass er bei einem Flohmarktbesuch in Weiden auf eine Frau mit einer Kiste voller Hirschauer Geschirrteile getroffen sei. Sie hatte diese von ihrer Tante bekommen, die in der Keramik beschäftigt war. Oben auf sei eine Figur gelegen – die „Cowboy Lady“. Endres und seine Begleiter hätten entgeistert den Kopf geschüttelt: „Das sieht eher aus wie italienische Eisdielenkeramik. Nie und nimmer ist das aus Hirschau!“ So sei die „Revolver-Lady“ ihm geblieben, der bekannte Adler ins Buch gekommen. Im selben Jahr habe Michael Popp im Pflegschloss eine Ausstellung über Hirschauer Steingut veranstaltet. Bei ihrer Eröffnung habe es eine echte Sensation gegeben! Karl Forster, Sohn des ehemaligen Fabrik-Prokuristen August Forster, habe fünf Werbeblätter mitgebracht. Auf zweien seien 32 vollplastische Figuren von Carstens Hirschau abgebildet gewesen – unter ihnen die „Cowboy Lady“. All das belege, wie schwer es selbst für Experten gewesen sei, Hirschauer Figuren zu erkennen. Alle hatten wenig Ahnung, was alles in Hirschau produziert wurde. Die Forster-Blätter seien die wesentliche Grundlage für die aktuelle Ausstellung. Weitere Quelle sei eine englischsprachige Anzeige der Carstens-Fabrik aus dem Jahr 1930: „Leipziger Messe aus Hirschau; OUR SPECIAL: Big Animal-Plastics at a small price – A rich assortment of about 20 different animals“. Die Figuren seien keine belanglose Nebenproduktion gewesen.
Dass man Hirschauer Plastiken relativ selten finde, habe drei Gründe: Die Fabrik sei nicht so arg groß gewesen. Das Brennen habe in den alten Öfen relativ viel Platz gebraucht. Nicht zu vergessen seien die Todfeinde aller Keramikfiguren – die Katzen und Putzfrauen. So müsse man den Verlust der wohl spektakulärsten Figur – ein Tanzpaar – beklagen. 2014 sei es noch im Schaufenster gestanden. Heute liege es im Müll. Man kenne die Entwerfer nicht. Bekannt seien nur zwei namentliche Signaturen: M. Möller und R. Bärmann. Die Produktions- und Absatzzahlen seien mangels Archivalien unbekannt. Man kenne inzwischen die meisten Figuren. Manche seien richtig gut und richtig groß, bis zu 50 Zentimeter. Einige Plastiken erreichten eine hohe künstlerische Qualität, z.B. der Adler, der Panther, die Eisbären, der Pinguin und die Dogge. Typisch für das Art déco seien die klare, kantige auf das Wesentliche reduzierte Form, die das Wesentliche des Tieres erfasst. Das sei hohe Kunst. Auffällig sei auch, dass die drei Frauenfiguren aus dem Jahr 1928 keine gewöhnlichen Allerweltsdamen sind, sondern extrem emanzipierte Frauen. Eine von ihnen trägt Männerkleidung und raucht. Die Tänzerinnen sind mit Rock bzw. kurzer Hose leicht bekleidet. Das um sich ballernde Cowgirl spricht für sich selber. Auch die Tiere seien außergewöhnlich, keine vom einheimischen Bauernhof. Es seien durchwegs exotische Tiere, besonders Raubtiere. Die Hundefiguren seien seltene Rassehunde, man könnte sagen Modehunde für moderne Damen. All das zeige, dass die Kunden für die Hirschauer Figuren in den Großstädten wohnten. Figuren wie Bison, Grizzly und Cowboy zielten eindeutig auf den amerikanischen Markt. Durch die Leipziger Messe pflegte man Kontakte nach Übersee. Hirschau sei lange Zeit ein weißer Fleck in der weiten Welt der Tierfiguren gewesen, während es von Firmen wie Goebel und Cortendorf, Rosenthal und Hutschenreuther usw. seit langem üppige Bildbände und Verzeichnisse mit Fotos und Nummern gegeben habe. „Nur von Hirschau wusste man halt gar nichts!“
Das ändere sich ab sofort durch die neue Ausstellung und den begleitenden Katalog. Zum Abschluss widmete Pfarrer Haußmann ein paar Worte seinen Lieblingen „Mucki und Specki“. Luckscha hatte sie, lustig und ansprechend in vielen Varianten, als Wunderwaffe geplant, um den drohenden Untergang der Fabrik abzuwenden. „Aber schwere Köpfe, dünner Hals, dürrer Hals und staksige Beine – das konnte nicht gut gehen.“ Es seien nur 30 produziert und von ihnen die meisten für die Messen geklebt worden. Heute seien davon vielleicht 10 bis 15 erhalten. Der kleine Trommler aus Porzellan von der letzten Fabrik der Jeanette Flückiger, das Schlussbild des Vortrags, trommle für weitere Nachforschungen. Denn, so Haußmann: „Wir sind noch lange nicht am Ende!“ Anhaltender Beifall der Anwesenden war nicht nur Lohn für den hoch interessanten Vortrag, sondern ganz besonders für das herausragende Engagement von Pfarrer Haußmann in Sachen Hirschauer Steingut. Dies würdigte auch nachdrücklich Altbürgermeister Hans Drexler, dessen Einladung zur Besichtigung der Ausstellung in der Alten Mälzerei von den Gästen gerne angenommen wurde.
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