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Nachricht vom 19.04.2023 Sonstiges

Als die Spanier nach Hirschau kamen

Hirschau (Bericht von Werner Schulz)  â€žBunte Schachtelhäuser fĂĽr die Spanier“ titelte am 1. April 1961 die AZ und berichtete: „Noch im April wird das erste Fremdarbeiterkontingent im Hirschau-Schnaittenbacher Kaolinbecken eintreffen. Es kommen nicht – wie ursprĂĽnglich vorgesehen - Italiener, sondern Spanier.

Im Wirtschaftswunderland Deutschland wurden in den 1950-er Jahren immer mehr Arbeitskräfte gesucht. Auf dem inländischen Markt waren sie nicht mehr zu finden. So schloss die Bundesrepublik 1955 mit Italien das erste Anwerbeabkommen, die mit Spanien und Griechenland folgten am 29. März 1960. Die Verträge ermöglichten es auch den Betrieben im Kaolinpott ihren Arbeitskräftemangel zu beheben. Die Fa. Gebrüder Dorfner rekrutierte Gastarbeiter aus Griechenland, die Amberger Kaolinwerke aus Spanien.

Die spanischen Arbeitskräfte sollten im April 1961 in Hirschau eintreffen. Daher hatten die AKW-Handwerker seit Wochen fieberhaft am Bau „bunter Schachtelhäuser“ inmitten der Arbeitersiedlung am Mühlbach gearbeitet. In den Gebäuden sollten 30 Fremdarbeiter Platz finden. Betriebsarchitekt Hermann Güntner hatte die Wohnstätten konzipiert, die (so die AZ) „sehr dem südländischen Charakter entsprachen und – zumindest für Hirschau – eine Sehenswürdigkeit darstellten.“ Nach Süden hin war der Häuserreihe ein großer Garten vorgelagert. AZ-Reporter Anderl Müller (ll) schwärmte: „Von der B 14 aus fallen die Häuser wegen ihrer bunten Fassadengestaltung sehr ins Auge. Die Farben sind so kontrastreich, dass die Südländer gewiss Gefallen daran finden werden.“ Es handelte sich um treppenartig versetzte Schachtelhäuser mit Flachdach. Sie waren unterkellert, hatten Waschräume, Bäder, Küche, Wohn- und Schlafzimmer. Eine Wohneinheit war für vier Mann berechnet.

Dadurch konnten die Häuser später als Wohnungen verwendet werden. Eines der Gebäude wurde als Küche und Speisesaal mit Fernsehen und Radio genutzt. Oft traf man sich dort zum Kartenspielen oder anderen geselligen Aktivitäten. Zu diesen Zusammenkünften gesellten sich im Laufe der Jahre auch die deutschen Nachbarn aus der Mühlbachsiedlung. Sie lernten dabei so machen spanischen Brauch kennen. Damit die Spanier ihre deutsche Wahlheimat besser kennenlernten wurden zahlreiche Busausflüge unternommen

Mitte April trafen ca. 20 Spanier ein – ausschließlich Männer aus der Provinz Zamora. Am 17. Juni 1961 kam das zweite Kontingent an, sieben Männer sowie mit Teresa Alonso Perez und Maria Teresa Perez Alonso zwei Frauen. Beide leben noch heute in Hirschau. Teresa Alonso Perez kann morgen, 20. April, ihren 100. Geburtstag feiern (eigener Bericht folgt). Am Amberger Bahnhof wurde die Spaniergruppe von AKW-Geschäftsführer Oskar Hallbauer und einem Dolmetscher abgeholt und nach Hirschau gebracht. Dort wurden sie schon von ihren Landsleuten erwartet. Die beiden Frauen sorgten als Köchinnen zusammen mit Koch Hans Gmeiner dafür, dass die Männer von der Iberischen Halbinsel spanische Kost bekamen. In der Regel gab es bei den Mahlzeiten ein Drei-Gänge-Menü mit Suppe, Hauptgericht und Nachspeise. Die Männer waren de facto in allen AKW-Abteilungen eingesetzt. Sie arbeiteten im Schichtbetrieb in der Grube, in der Verladung, der Bauabteilung, der Malerei und der Schmiede und im Presshaus. In Spitzenzeiten waren über 60 Spanier bei AKW beschäftigt. Sie machten Überstunden über Überstunden.


Teresa Alonso Perez fiel die Anfangszeit in der neuen Heimat nicht leicht. Zum einen konnte ihr Mann Jose Juanes Hernandez erst im September nachkommen, zum anderen musste sie ihre vier Kinder in Spanien zurücklassen. Tochter Carmen Juanes Alonso verbrachte noch zwei Jahre bei ihrer Oma kam am 17. März 1963 nach Hirschau. Da sie kein Deutsch konnte, kam die 11-Jährige in die 1. Klasse der Grundschule. Ihre Mitschüler*innen waren ca. fünf Jahre jünger als sie. Mit ihnen absolvierte sie auch noch die 2. Klasse und die Hälfte der 3. Klasse. Ihre Leistungen waren so gut, dass sie während des Schuljahres in die 6. Klasse versetzt wurde, wo sie altersmäßig hingehörte.

Die „kleine Carmen“ wurde in Hirschau sesshaft. Sie ist seit 1993 mit Christian Renner verheiratet und betreibt mit ihm seit 2007 das Conrad-Sportstüberl. Bei ihnen lebt in einem der „Schachtelhäuser“, das sie 1989 von AKW gekauft haben, ihre 100-jährige Mutter Teresa Alonso Perez. Carmen Renner erinnert sich: „Wir haben oft auf der Spanierwiese Fußball gespielt. Im Speisesaal haben wir schön Feste gefeiert, z.B. am Heiligen Abend. Bei uns Spaniern wird die Geburt Jesu ganz groß gefeiert. Da sind sogar Familien aus Amberg zum Feiern gekommen. Es gab reichlich Essen. Es wurde gesungen und getanzt. Im Laufe des Abends sind auch deutsche Familien erschienen. Spanier wie Deutsche sind per Polonaise durch die Wohnung marschiert.“

In den 1970-er Jahren sind fast alle Spanier in ihre Heimat zurückgekehrt. Heute leben außer Carmen in Hirschau noch ihre 100-jährige Mutter, ihr Bruder Carlos und ihre Cousine Teresa Filbeck. Carmens Vater, der bis zu seiner Erkrankung im Jahr 1982 bei den AKW arbeitete, ist am 7. Januar 1983 in Hirschau verstorben. Er ruht in seiner Heimatstadt Salamanca. Carmens Brüder Pedro und Felipe - sie spielten beim TuS Hirschau Fußball - sind in Spanien verheiratet. Sie besuchen regelmäßig ihre Mutter in Hirschau. Carmen Renner: „Ich werde von Hirschauern noch heute oft nach manchen Spaniern gefragt. Umgekehrt fragen mich „spanische Ex-Hirschauer“ bei meinen Spanienbesuchen nach ihren ehemaligen Arbeitskollegen und deren Familien. Einige AKW’ler sind ihnen in allerbester Erinnerung geblieben, allen voran Oskar Hallbauer, Karl Holthaus und Hans Niebler. Manolo Dominguez, der 30 Jahre dem Männergesangverein im Bass eine große Stütze war, ist an Silvester 2011 verstorben. Seine beiden Töchter Susanna und Isabellita wohnen in Amberg.

In Schnaittenbach lebt noch die 87-jährige Felicitacion Manias Fernandez, besser bekannt als Frau Castano. Ihr Mann Casimiro Castano Rodriguez war im April 1961 mit dem ersten Kontingent in Hirschau eingetroffen. Er arbeitete in der AKW-Sandverladung. Seine im sechsten Monat hochschwangere Frau kam im September 1961 an, hatte aber nur eine dreimonatige Aufenthaltserlaubnis. Wegen ihrer Schwangerschaft wurde diese nach Verhandlungen mit dem deutschen Konsulat in München verlängert. Noch 1961 kam ein Sohn zur Welt, 1963 dann eine Tochter. Nach dem Willen der Eltern sollte der Sohn Alfredo, die Tochter Isabel heißen. Die Rechnung hatte man aber ohne den Wirt, ohne Inspektor Roth gemacht, dem Standesbeamten im Schnaittenbacher Rathaus. Er akzeptierte die ausländischen Namen nicht. Papa Castano beugte sich der staatlichen Obrigkeit: Der Sohn erhielt den Vornamen Alfred, die Tochter heißt Elisabeth. So steht es in ihren Ausweisen. Beide haben, ebenso wie die Eltern, die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Für Felicitacion Manias Fernandez war es nicht leicht, den Einbürgerungssprachtest zu bestehen. In Spanien war sie nur drei Jahre zur Schule gegangen. Dank der Vorbereitung durch ihre Kinder verlief die Prüfung erfolgreich. Das Ehepaar Castano-Fernandez blieb nur drei Monate in der Spaniersiedlung am Mühlbach. Sie zogen nach Schnaittenbach um. Casimiro Castano wechselte 1968 zur Fa. Zinn-Dausch nach Schnaittenbach, 1988 zur Fa. Gebr. Dorfner. Er verstarb 2015 im Alter von 81 Jahren. 1972 hatten sie in Schnaittenbach ein Haus gebaut. In diesem lebt Felicitacion Manias Fernandez bei ihrer Tochter Elisabeth Pilz und deren Ehemann Gerhard.

AKW-Betriebsarchitekt Hermann Güntner (Mitte) entwarf die bunten Schachtelhäuser für die Gastarbeiter aus Spanien. Unterstützt wurde er dabei von Werner (Bobby) Schertl (l.) und Hermann Dobmeier (r.). - Foto von Werner Schulz / Repros: Werner SchulzFoto: Werner Schulz / Repros: Werner Schulz
AKW-Betriebsarchitekt Hermann Güntner (Mitte) entwarf die bunten Schachtelhäuser für die Gastarbeiter aus Spanien. Unterstützt wurde er dabei von Werner (Bobby) Schertl (l.) und Hermann Dobmeier (r.).

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Foto: Werner Schulz / Repros: Werner Schulz
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