Hirschau (Bericht von Werner Schulz) Seit Freitag, dem 28. April, thront auf dem First des Hirschauer Pflegschlosses wieder ein Storchennest. Vorige Woche haben zwar drei Störche den Horst inspiziert. Zum Einzug konnten sie sich jedoch nicht entschließen.
Alte Postkarten belegen, so Stadtheimatpfleger Sepp Strobl, dass schon vor ca. 100 Jahren Störche auf dem Dachfirst des Schlosses Wohnung bezogen. Schloss-Hotel-Besitzer Clemens Dorfner wiederum erinnert sich, dass zuletzt Anfang der 1970er Jahre Störche auf dem Schlossdach genistet haben. Bei der Renovierung des Schlosses 1987 musste der alte, seit Jahren verwaiste Horst entfernt werden. Die Ortsgruppe des Landesbundes für Vogelschutz mit seinem Vorsitzenden Hans Drexler ergriff 1988 mit Einverständnis der Familie Dorfner die Initiative, auf dem First des neu eingedeckten, mit 27 Metern höchsten Gebäudes des Schlosses wieder ein Storchennest anzubringen. Schon vor der Eindeckung hatte man dafür die Verankerung angebracht. Michael und Gottfried Bäumler fertigten ein neues Nest aus nichtrostendem Stahl und aus Eichenbalken, der Rand wurde mit einem Weidengeflecht begrenzt. Das neue Nest hatte einen Durchmesser von 1,60 Metern. Zahlreiche Schaulustige verfolgten Anfang April 1988 die Arbeit, als Feuerwehrkommandant Konrad Meyer und Feuerwehrmann Jochen Scholz an der Drehleiter mit Gottfried Bäumler den neuen Horst in luftige Höhe brachten und kunstgerecht „an der alten Stelle“ in die Halterung einsetzten. Trotz dieser damaligen Mühen blieb das Nest bis heute verwaist. Es schaute zwar immer wieder einmal ein Storch oder eine Störchin vorbei. Zum Bleiben konnte sich keiner der Zugvögel entscheiden.
Stadtrat Rudi Wild war es, der vor gut einem Monat am 5. April in der Sitzung des Stadtrats die Wiederansiedlung des Storches auf dem Schlossdach anregte. Bürgermeister Hermann Falk meinte, dass „die Stadt einem Bürger nicht einfach aufs Dach steigen kann“. Stadträtin Johanna Erras-Dorfner zeigte sich überzeugt, dass Gespräche mit dem Eigentümer durchaus erfolgreich sein könnten. Dem war tatsächlich so! Clemens Dorfner willigte spontan ein. In der Sitzung des Bauausschusses am 19. April konnten die Details geklärt werden. Bürgermeister Hermann Falk zögerte nicht lange, sondern gab grünes Licht für den Einsatz der Feuerwehr-Drehleiter sowie den von Bauhofleiter Roland Siegler und stellv. Wasserwerkleiter Bernhard Meyer, einem aktiven Feuerwehrmann. Sie machten sich am Dienstag, 25. April, ans Werk, erklommen die Drehleiter und holten das alte Nestgestell vom Dach. Bauhofmitarbeiter brachten es auf Vordermann, säuberten es und brachten ein frisches Weidengeflecht an. Am Freitag, 28. April, schwangen sich Roland Siegler und Bernhard Meyer per Drehleiter mit dem neuen Nest wieder in luftige Höhen und brachten den Horst „an der alten Stelle“ auf dem First an. Auf den Dachziegeln in der Umgebung des Nestes brachten sie weiße Kalkfarbenspritzer an. Die Farbe erinnert optisch an Storchenkot und sorgt dafür, dass Adebar die Nisthilfe besser annimmt. Dem Storch wird damit vorgegaukelt, Artgenossen hätten das Nest bereits zur Jungenaufzucht genutzt. Nun bleibt zu hoffen, dass die Mühen sich tatsächlich lohnen.
Fest steht, dass die Hirschauer vor 100 Jahren größten Wert auf die Anwesenheit eines Storchennestes auf dem Schlossdachfirst legten. Das belegt ein Zeitungsbericht vom 6. Mai 1927. Dort steht zu lesen: „Wie schon bekannt, wurde das am alten Schloßgebäude dahier befindliche Storchennest durch einen Sturm zerstört. Dieses wurde aber am 13. April wieder aufgebaut. Hierbei wurde nachstehendes Gedicht durch einen Jüngling vom Gebäudefirst aus vorgetragen:
„Ein grausiger Sturm zog über’s Land.
Zerstörte die Dächer und allerhand.
Und fegt hinunter ohne Rest,
Am SchloĂź das stolze Storchennest.
Die Leute voll Entsetzen stehn,
Jetzt ist das größte Unheil g’schehn,
Die Störche kommen nimmer mehr,
Wo nehmen wir die Kinder her?
Nur eine lächelt still vergnügt,
Und ist von diesem Sturz verzĂĽckt,
Es ist die Herrin von dem SchloĂź,
Schon oft gesegnet war ihr SchoĂź.
Jedoch ihr Gatte, der Papa,
Gleich anderer Gesinnung war,
Und gab zum Trotz sofort Befehl,
Das Nest kommt wieder an die Stell!
Doch dazu braucht man kĂĽhne Jungen,
Und ist das schwere Werk gelungen,
Dann gibt’s zum Lohn ein heiteres Fest,
Weil wieder prangt das Storchennest.
Des Storches Dank, er bleibt nicht aus,
Kommen wird er noch oft in dieses Haus.
Und auch zu denen, die es hoben,
In diese luft’ge Höhen oben.
Zur Genugtuung der tüchtigen Burschen, die das alte Storchennest neu befestigen, können wir neuerdings mitteilen, dass Herr Adebar nebst Gattin nach längerem Hin- und Herfliegen in seinem alten Quartier wieder Aufenthalt genommen hat.“
Warum sich der Storch in den letzten 50 Jahren in Hirschau nicht mehr niedergelassen hat, lässt sich nicht detailliert erklären. Aber – auch in der Kaolinstadt und seiner Umgebung sind während dieser Zeit Feuchtgebiete entwässert, Wiesengräben beseitigt und Flächen durch Bebauung versiegelt worden und somit Nahrungsbiotope für den Storch verschwunden. Wahr ist allerdings: Die Zahl der Geburten hat seit dem Ausbleiben von Meister Adebar und seiner Gemahlin deutlich abgenommen!
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