Hirschau (Bericht von Werner Schulz) Für Hirschau ist er ein denkwürdiger Sonntag – der 22. April 1945. Zwei Tage nach der Bombardierung der Stadt rückten amerikanische Panzer - von der Schönbrunner Straße her kommend - gegen halb elf Uhr in die Stadt ein.
Die US-Truppen stießen auf keinen Widerstand. Zwei Stunden herrschte in der Innenstadt Totenstille. So steht es in der 1968 von Heribert Batzl verfassten „Chronik der Stadt Hirschau“. Von halb elf Uhr bis halb ein Uhr, so schreibt er, war es in den Straßen totenstill. Die Bevölkerung hatte nämlich zum Teil in einem der ca. 30 Felsenkeller an der Mühl-, Ehenfelder- und Kohlberger Straße Schutz gesucht. Die Keller waren z.T. vorsorglich so hergerichtet, dass man längere Zeit dort verbringen konnte. So waren u.a. Wasserstellen zum Waschen eingerichtet und waren auch Bettgestelle vorhanden. Auch die Familien von Annemarie Reil (geb. Schwab, 12 J.), Heribert Fleischmann, Helmut Rösch und Hermann Gebhard (alle 7 J.) sowie Maria Helm (geb. Dobmeier, 6 J.) suchten am 22. April Unterschlupf in einem der Keller. Ihren Eltern war wohl klar, dass der Einmarsch der Amerikaner unmittelbar bevorstand. Daran sollte sie ein massiver Panzerwall hindern, den man quer über die Schönbrunner Straße vom „Dotzlerbauern bis zum Pfab iwe“ errichtet hatte. Heribert Fleischmann: „Da waren Riesenbäume in den Boden gerammt, dazwischen Erdreich eingefüllt.“ Der Wall war aber kein Hindernis für die US-Panzer. Sie bogen vor dem Dotzlerbauern nach rechts ab, durchpflügten den Josefshausgarten und rollten über die heutige Kolpingstraße zum Pfabeck und in die Innenstadt.
Die Familie Schwab hatte seit 1938 das Josefshaus gepachtet. Im Saal, der bis wenige Tage vorher als SS Quartier gedient hatte, hingen ein großes Hitlerbild und eine Hakenkreuzfahne. Letztere vergrub Barbara Schwab, bevor sie mit ihren sieben Kindern zum Felsenkeller in der Ehenfelder Straße aufbrach. Annemarie Reil: „Da drin war es ganz finster. Ein paar Kerzen brannten. Ungefähr 40 Leute waren da. Eine Frau hat immer rausgeschaut, ob die Amis schon da sind. Als sie kurz nach Mittag da waren, sind wir raus aus dem Keller und zurück ins Josefshaus. Welch ein Pech! Die vierjährige Christa ist noch in der Ehenfelder Straße aus ihrem Wagerl gekippt. In dem Moment ist ein Panzer herangerollt. Ein dunkelhäutiger Soldat – so einen hatte ich noch nie gesehen - ist ausgestiegen. Ich hatte Angst. Aber er war ganz nett und hat Christa wieder ins Wagerl gesetzt.“ Ein zweiter Vorfall ist Annemarie Reil im Gedächtnis. Ihre ältere Schwester Rosalie ertappte im Schuppen einen US-Soldaten beim Rupfen einer Henne. Sie verpasste ihm eine Ohrfeige. Der GI konnte der 17-Jährigen wohl nicht böse sein. Er erklärte ihr, dass das Huhn aus dem Nachbarstall stammte. Annemarie Reil hat das „wahnsinnig laute Dröhnen“ der Panzer, die durch ihren Josefshausgarten ratterten, noch heute im Ohr.
Die Familie Gebhard suchte, ebenso wie ihre Linthaler-Nachbarn, am frühen Morgen des Einmarschtags Schutz in einem Felsenkeller in der Ehenfelder Straße. Hermann Gebhard: „Wir haben zum Essen und zum Trinken und Bettzeug auf unser „Zöichwagerl“ geladen. Wir haben zwei Nächte im Keller verbracht. Als wir wieder heimgekommen sind, ist unsere ganze Straße voll mit Panzern gestanden.“ Für Schneidermeister Engelbert Rösch war klar, dass er im Ernstfall mit seiner Familie in den Maier-Felsenkeller in der Mühlstraße Zuflucht suchen wird. Er hatte für den Kelleraufenthalt schon einiges hergerichtet. Nachdem Alarm gegeben wurde, so die Erinnerung von Helmut Rösch, sind wir schleunigst mit Sack und Pack los. Die Oma wurde im Leiterwagen mitgenommen. Luzie hat vorne angezogen, ihr Bruder Helmut hinten angeschoben. Die beiden hatten es wohl sehr eilig, zu eilig! In der Kurve beim Schloss kippte der Wagen samt Oma um. Gemeinsam schaffte man es, sie wieder in den Wagen zu setzen. Helmut Rösch: „Im stockdunklen Keller waren ca. 20 Leute. Meine Mutter musste ins Haus zurück, weil sie Hebamme war. Wir haben ein oder zwei Nächte im Keller verbracht. Die Mutter hat Essen gebracht.“ Nach der Rückkehr ins Haus ist ihm ein Erlebnis im Gedächtnis. „Ich habe geschlafen. Da hat mich jemand geweckt. Als ich die Augen aufgemacht habe, ist ein dunkelhäutiger Soldat vor mir gestanden. Da bin ich ganz schön erschrocken. Er wollte meinen Vater sprechen. Der sollte ihm neue Schulterklappen aufnähen. Er war wahrscheinlich befördert worden. Er hat nicht mit Geld, sondern einem Care-Paket bezahlt.“ Auch Maria Helm war im Maier-Keller. Sie hatte darauf bestanden, ihren Puppenwagen mitzunehmen. Ihr Bruder Georg hatte ein Betttuch hergerichtet, um es als weiße Fahne ans Haus zu hängen. Sie erinnert sich, dass Michael Schlaffer Angst hatte, die Amerikaner könnten den Kellereingang zuschütten. Damit man diesen wieder frei machen könnte, holte er einen Pickel. Ihr Papa Georg Dobmeier blieb daheim im Gasthaus. Ein paar Tage nach der Rückkehr in ihre Häuser, mussten sich alle Einwohner auf dem Marktplatz versammeln. Die Amerikaner durchsuchten derweil alle Wohnungen.
Heribert Fleischmann und seine Mutter verbrachte zusammen mit gut 30 Personen mehrere Nächte im Felsenkeller der Familie Dolles. Vorab hatte Heriberts Mutter im Stadel gegenüber ihres Hauses in der Hirtengasse eine Kiste mit Lebensmitteln eingegraben. Heribert hatte das Versteck sauber abgedeckt. Im Handwagen, den die Mama zog, war ebenfalls eine Menge Lebensmittel verstaut. Sehr gut hat Heribert Fleischmann die Heimfahrt und die Ankunft im eigenen Haus im Gedächtnis. „Auf dem Weg durch die Stadt ist die Mama schnurstracks gefahren. Sie hat nicht links und nicht rechts geschaut. Ich habe mich auch fast nicht getraut. Aber – beim Schneiderbäcker ist ein dunkelhäutiger Soldat gestanden. Da hab ich richtig Angst bekommen. So einen hatte ich noch nie gesehen!“ Daheim wartete eine böse Überraschung. Die Besatzer hatten gehaust wie die Vandalen.
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